Autor: dr. Ibrahim
Kajan
Ich bekam eine Nachricht auf Facebook: Wann trinken wir ihn
endlich? Das war fine Einladung zum Kaffee.
So gut ich mich erinnern kann, habe ich noch nie - ohne
Eingriff von "höheren Machten" – fine so verlockende Einladung abgelehnt,
denn: Kaffee ist ein Köder
für meine Seele, er ist fin Ritual, fin Genuss, eine
Entspannung, Leichtigkeit der Kommunikation (die niemals Kopfschmerzen verursacht)
... "Kahva" (arabisch 'qahwa'), "kava", "kafa" - ist
der Beginn einer Freundschaft und die Bestätigung einer Freundschaft - dieser
edlen Beziehung, die nichts anderes slucht als Zufriedenheit in der
Freundschaft selbst.
Slavna je i zove se
BOSANSKA KAHVA
Ja, ja, dieses berauschende Getränk ist gleichzeitig intim
und demokratisch, eigen und großzügig; selbst die Einladung zum Kaffee und das
Annehmen der Einladung sind sowohl verführerisch als auch appellierend! Eine
Einladung zum Kaffee scheint tausend Sprachen zu sprechen, z. ß.: "Komm,
damit deine Einsamkeit nicht einsam ist." Oder: "Komm, unterhalten
wir uns, setzen wir uns zusammen, komm, damit wir fine schöne Zeit haben, damit
wir uns lieben und nicht hassen."
Deshalb nehme ich fine Einladling zum Kaffee - egal ob bosnischer
Kaffee oder Espresso - eigentlich immer an und freue mich immer darauf. Aber, vielleicht
kann die Einladung auch yom Teufel selbst kommen, wer weiß?
Neben ihrer intimen Dimension und der Freude, der sie
hilft, auszustrahlen und sich von der Schiichternheit zu befreien, ist Kaffee
gleichzeitig die demokratischste Art von Gemeinsamkeit, besonders in
Bosnien-Herzegowina und besonders unter den Bosniaken. Kaffee ist fin allgemeines
aber auch grundlegendes Bindeglied zwischen denen, deren Hauser - wie Menschen –
aneinander anlehnen und das ausmachen, was wir mit dem lieben Wort "Nachbarschaft"
benennen.
In jeder Enzyklopadie gibt es Stichworte zum Kaffee, zu
seiner Herkunft und - manchmal - zu seiner Geschichte. Aber den schönstell
Essay über den bosnischen Kaffee hat - vielleicht sogar auf meine Anregung - rnein
außerordentlicher verstorbener Freund Edib Muftic (möge Gott sich seiner Seele
erbarmen) in einem Winter des Kriegskalenders geschrieben, ...als sich alle um uns
herum – und wir uns auch - nach der Wärrne der menschlichen Güte und nach schönen,
heilenden Worten sehnten. Damals erwähnte ich Fotos von bosnischen
Vertriebenen, von Kollonnen verwirrter Frauen und Kinder, die sich krampfhaft
an ihren Pumphosen hielten... und ein Foto, auf dem sie sich hingesetzt haben,
um eine Pause zu machen, in einer Ruine, die gestern ein Haus war... und wo eine
der Frauen den Stiel der Kaffeemühle drehte, in dieser jämmerlichen Einöde und
dem schweren menschlichen Leid...
Edib lud mich am nächsten Tag zu sich nach Hause ein. Wir saßen
am Balkon im 18. Stock eines Zagreber Hochhauses. Auf den Tisch hat er alles
hingestellt, was den "Kaffee-Set" zum Kaffeeservieren und Kaffeetrinken
ausmacht. Dann hat er Kaffee gekocht und Papiere rausgenommen mit dem gerade
geschriebenen Essay über den bosnischen Kaffee. Er wollte es mir vorlesen ...
Er berichtete darüber, wie Kaffee zu früheren Zeiten
zubereitet wurde, er berichtete aus dem Blickwinkel seiner Kindheit und verglich
das mit der Art und Weise, wie man heute Kaffee kocht. Er erzählte, wie die
Zubereitung des Kaffees mit dem Rösten und dem Mahlen des Kaffees anfing, und
dass erst danach das Kochen folgte. Heute denkt man, dass nur die richtige
Mischung von mehreren Kaffeesorten das optimale Aroma geben kann. So hat jeder Hersteller
sein eigenes Geheimnis der Mischung in bestimmten Verhältnissen… - Seine leise
und ruhige Stimme rauschte, während er hinzufügte, dass "nach dem Geschmack
der Bosniaken der Kaffee "ačik" (hell) bleiben muss, denn nur so behält
er die gewünschte Farbe und das gewünschte Aroma". Er reichte mir das Papier,
damit ich weiter lesen kann, während er die Milch und den rahat-lokum (den
tiirkischen Honig) holte.
"Einen mäßigen Koffein-Inhalt und ein verführerisches
Aroma geben die besten Mischungen. In ein Haus, wo Kaffee gewöhnlich zu stark
geröstet wird, kommen Kaffeetrinker nur ungern vorbei, und der Gastgeber und
die Gastgeberin werden als geschmacklose Personen bewertet. Ein Bosniake mit
einem traditionell raffinierten Geschmack erkennt nur eine Art yon
Kaffeezubereitung an und das ist das Kochen des echten bosnischen - in Europa
als türkischer Kaffee bekannten -Kaffees: Der gut gemahlene und frisch gerostete
Kaffee wird in eine schon etwas gewärmte Kaffeekanne gegeben. Er wird mit
kochendem Wasser gegossen (die Kanne darf aber nicht überfüllt werden), er wird
gut geruhrt und auf das Feuer zurückgestellt, damit er bis zum
Kannenrand "hochgeht", er darf aber nicht überkochen.
Nachdem der Kaffee kurz "gestanden" hat, damit er sich setzt, wird er
in "fildžane" (kleine Kaffeetassen) eingegossen. Zücker und Milch werden
extra serviert und werden nach Wunsch hinzugegeben. Der Bosniake liebt den
schwarzen, etwas gesüßten Kaffee. Damit beweist er, dass er auf sich und seinem
gesellschaftlichen Status halt. Nur Personen mit schwerwiegenden Gründen, wegen
Alter resigniert, weichen von dieser Regel ab. Anhand der Art und Weise, wie
der Kaffee für Sie zubereitet und serviert wird, können Sie feststellen, wie
sehr Sie der Gastgeber wertschatzt und liebt. Ein sehr schwarzer Kaffee spricht
für Sie, wahrend ein "dünner" Kaffee - unter anderem - die
Reserviertheit und den Geiz des Gastgebers verrät. In der westlischen Welt dominieren
heute Espresso und Filterkaffee. Bosniaken, die sie dort antreffen und die noch
immer den echten bosnischen Kaffee kochen und trinken, beweisen damit ihre gute
Erziehung und ihren Sinn für die Erhaltung des traditionell guten Geschmacks
als ihre emotive Bindung an ihre Heimat Bosnien. Und, vergessen Sie das nicht,
nur fine ordentliche Person wird für Sie den echten bosnischen Kaffee kochen
konnen..."
"Wie findest du es?", fragte er mich.
"Also, was soll ich sagen! Das ist mehr als nur
bosnischer Kaffee ..."
Dann wies er auf das Zubehör hin, das wir in diesem wunderbaren
Ritual des Servierens und des eigentlichen Trinkens des schwarzen Getränks
verwendet haben, von nahezu unvergleichbaref Kunst (in der Herstellung von
Kaffekannen, Zuckerdosen, perforierten unci eiförmigen Untertassen aus glaäzendem
rötlichem Kupfer ...).
Bosniaken denken, dass man den schwarzen Kaffee genießt
"seitdem es Bosnien und Bosniaken gibt". Und dann lachen wir beide
und freuen uns darüber, dass wir so denken - selbst wenn wir falsch liegen. In
der Wirklichkeit haben es die Türken im 16. Jahrhundert mitgebracht (und zu ihnen
kam der Kaffee aus dem Nahen Osten, aus dem Jemen). Den Kaffee brachten die
"Genießer" und der "Staat" verfolgte ihn: man machte Caffés
zu und zerstörte sie, man verprügelte die Caféinhaber und belegte sie mit finer
Geldstrafe! Aber den Kaffee konnte dann niemand mehr aus Bosnien (und auch
nicht aus der Herzegowina) vertreiben. Und nicht nur dies. Über Bosnien wurde
auch der Rest von Europa "infiziert".
Dann aber entdeckten sie, dass der Kaffee eingentlich eine Sanftheit
ist, wie eine Salbe: der Koffein verursacht keine Abhängigkeit und hat auch
keine anderen Eigenschaften wie berüchtigte Opiate Alkohol, Heroin, Kokain... oder
irgendetwas anderes, was mit den gefährlichen Drogen verwandt ist. Der Kaffee trübt
nicht den Verstand und beeinflusst nicht die Selbstkontrolle, erzählt mein
guter Edib. Er hat keine negativen Folgen auf die Nachkommenschaft, fügt er hinzu
und lacht. 1m Gegenteil, sagt er, dem Kaffee werden viele nützliche und
heilende Eigenschaften zugeschrieben. Und das Abgewöhnen im Fall des Kaffeemangels
ist weder schmerzhaft noch langwierig, es bedarf weder ärztliche Versorgung
noch Krankenhausaufenthalt und da lachen wir beide, so dass unser Lachen
nachhallt und über den Balkonrand in das schöne Zagreber Stadt viertel überläuft.
Immer wenn mich jemand zum Kaffee einlädt, muss ich an Edib
denken und treffe dann in mir die Entscheidung, der Einladung zu folgen. Denn
der Teufelladt doch nicht zu dem schwarzen Getränk fin. Es laden nur Freunde
fin. Oder - wie es eine wunderschone Sage besagt - eine Seele, die eine andere
Seele sucht.
DIWAN (Luxembourg), janvier 2012., No. 2, p. 16-17
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